Kapitel 2

Das wird jetzt kein großer Reisebericht, sondern eine lose Aneinanderreihung von Anekdoten des letzten halben Jahres, dass ich an Bord der AIDAsol verbringen durfte.

Das Mittelmeer.

Die erste Woche stand eine kurze Kreuzfahrt durch das westliche Mittelmeer auf dem Programm. Von Mallorca nach Korsika, Civitavecchia, Livorno, Barcelona und zurück nach Mallorca.

Die Tage waren ausschließlich mit lernen verbunden. Zu allererst musste ich die Wege und Orte auf dem Schiff erkunden, um mich in meiner neuen Heimat zurechtzufinden. So ein mittelgroßes Kreuzfahrschiff mit 253 Meter Länge und 32 Meter Breite und 14 Decks bietet jede Menge Raum. Es gibt auf dem Schiff übrigens genug Orte, neben den Gästekabinen, die ich in 6 Monaten kein einziges Mal betreten habe.

Aber auch meine Arbeit war völlig neu für mich. Bisher bestimmte ich, wie ich meine Kamera benutze, welche Art von Fotos ich mache, sogar wen ich fotografierte. Ich wurde gefragt oder sogar gebeten Portraits zu machen, immer in enspannter Umgebung in meinem Arbeitstempo, von dem ich meinte es sei eigentlich eh ganz flott.

Nun war alles ganz anders. Ich arbeitete mit fremden Equipment, noch dazu mit Kameras von Nikon – die ein doch sehr anderes Bedienkonzept vorweisen im Vergleich zu meinen Kameras von Canon. Ich musste eine gewisse Mindestanzahl an Bildern liefern, aktiv völlig fremde oft desinteressierte Menschen ansprechen ob ich sie denn fotografieren dürfte und mir dabei 70-80 % Verneinungen einholen. Wenn es Gruppenfotos waren, diese schnell, klar und verständlich einweisen. Das alles möglichst schnell, um viele Fotos zu machen. Immer Quer und Hoch. Kontrollieren, ob eh niemand geblinzelt hat und gegebenenfalls nochmals fotografieren. Da wir in jpg fotografierten, mussten die Fotos auf Anhieb perfekt belichtet sein.

Für Fehler gab es keine Zeit. Daher musste man seine Fotos immer nachkontrollieren. Zwei Mal passierte es mir, dass ich den Weißabgleich unbeabsichtigt verstellte und das natürlich bei besonders stressigen Situationen, bei denen man eben nicht so oft nachkontrollieren kann. Mein hochgeschätzter Kollege Jun aus dem Fotolabor verfluchte mich recht heftig, da er die Fotos alle händisch nachbearbeiten musste, um den Blaustich durch die unbeabsichtigte WB-Einstellung „Wolframlicht“ halbwegs zu entfernen.

Anfangs selten, aber mit der Zeit immer öfter, hatte ich auch die Verantwortung für ein Portraitshooting. Shootings sind standardisiert: Anzahl, Reflektor, Aufstellort, Höhe, Winkel und Einstellungen der Blitzköpfe, die Farbe des Hintergrunds, sogar Blende, Belichtungszeit, Objektivwahl und Brennweite sind vorgegeben. Für Experimente gab es meist keine Zeit, da unsere Gäste bereits warteten und so ein Setup doch zwischen 15 Minuten und einer halbe Stunde benötigte, je nach Standort. Manches Mal bildeten sich sogar Schlangen unsere Gäste. Auch hier galt es vor allem um Schnelligkeit und perfekte Ergebnisse.

Mittlerweile mache ich alles schon ganz automatisch, fotografiere mit Nikons genauso wie mit Canons, ich habe keine Scheu mehr fremde Menschen anzusprechen, die Bildergebnisse sind meist auf höchstem Niveau – wobei das auch daran liegt, dass ich nach drei Monaten mit meiner eigenen Kamera arbeiten konnte und ich die Nikons nur noch in Ausnahmefällen verwendete.

Zusammengefasst war der Beginn meines Abenteuers ein riesiger und manchmal sehr schwieriger Lernprozess.

Erinnerungen:

Ich war nur noch müde und meine Beine wurden von Tag zu Tag schwerer.

Jeden Morgen um 6, 7, 8 oder 9 aufstehen, kurz frühstücken und dann beginnt der Dienst. Je nach Dienstplan variabel beginnend von 7:45 bis 11:45 Uhr zwischen drei und bis zu sechs Stunden an der Gangway stehen oder einen Ausflug begleiten. Danach zurück auf das Schiff, Fotos aussortieren, Mittagessen und Schlafen. Um spätestens 17 Uhr wieder aufstehen, Abendessen und dann beginnt der Dienst im Shop. Da es aber auch Nachmittags Veranstaltungen an Bord gibt, kann es schon mal sein, dass du bereits um 15 Uhr am Pooldeck stehst und z.B. das Offiziersshaken fotografierst.

Abends arbeiten wir von manchmal 16 (Seetags) aber meistens von 18 bis 23 Uhr. Ich stehe im Shop, der täglich bis 22 Uhr geöffnet ist, berate Gäste bei ihrer Fotoauswahl, nehme Bestellung entgegen, gebe ihnen ihre fertigen Prints, verkaufe Postkarten, Kühlschrankmagnete, Batterien, USB-Sticks, Kameras, Speicherkarten, Ladekabel, Fotoalben, zeige Gästen wie sie ihre Kameras richtig bedienen, repariere scheinbar defekte Kameras, mache dazwischen Fotos von den Gästen in den Restaurants, der Discothek und den Bars. Zusätzlich gibt es jeden Tag ein anderes Studioshooting.

Je nachdem komme ich am Tag auf 300 bis 800 Fotos (eher 300) und im Durchschnitt arbeite ich pro Tag mindestens 9 bis maximal 12 Stunden. Dabei lege ich jeden Tag rund 10 km zurück. Spät am Abend dann noch das Meeting, bei dem die Einsatzplanung für den nächsten Tag besprochen wird.

In der Nacht geht es dann abschließend in die Crewbar um, mindestens ein Bier zu trinken, Musik zu hören, viele neue Menschen aus aller Welt kennen zu lernen – was für mir anfangs nicht ganz einfach ist – mit ihnen zu plaudern und den Schmäh laufen zulassen und gemeinsam oft und viel lachen, um damit einfach wieder runter zukommen.

So läuft das also nahezu täglich für die nächsten 6 Monate und das ohne einen Tag Unterbrechung.

Die Fotos von Korsika habe ich im Kapitel 1 gezeigt, hier nun Fotos von Livorno und Barcelona. Von Mallorca und Civitavecchia gibt es leider kein Bildmaterial, da ich dort keine Zeit oder Kraft für einen Landgang hatte:

Livorno

Barcelona